Die großen volkseigenen Betriebe in der DDR schufen für ihre Mitarbeiter und deren Kinder eigene Ferieneinrichtungen in landschaftlich schönen Gegenden. Auch für die Armeeangehörigen der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung wurden nach der Gründung der NVA solche Einrichtungen errichtet. So nutzte die LSK/LV in den Jahren von 1956 bis 1961 das Kinderferienlager "Thomas Müntzer" in Soland (Sachsen).
Die Berufssoldaten und die Zivilbeschäftigten konnten ihre Kinder im Alter von 9 bis 14 Jahren in den Sommerferien für jeweils drei Wochen in dieses Zeltlager schicken. Im Jahr 1962 wurde durch den Chef für Rückwärtige Dienste der LSK/LV, Oberstleutnant Richter, Karlshagen auf der Insel Usedom als Standort für ein Kinderferienlager an der Ostsee bestimmt.
Das Pionierferienlager Karlshagen (später Mehrzweckobjekt 14) unterstand als "direkt unterstellte Einrichtung" dem Chef Medizinischer Dienst der LSK/LV. Die ständige Leitung des Pionierferienlagers bestand aus dem Lagerleiter und dem Stellvertreter für Versorgung. Ein Stellvertreter für Politische Arbeit, der Lagerarzt und ein Sportoffizier wurden während der Ferienzeit zukommandiert. Von 1964 bis 1986 wurde das Lager durch Oberstleutnant Werner Stimmler geleitet. In den Jahren 1987 bis zur Auflösung 1990 durch Oberstleutnant Rudolf Fritsch. Über viele Jahre war Oberstleutnant Wiechmann für die Versorgung zuständig.
Das Gelände für das neue Ferienlager befand sich am Rande eines militärischen Sperrgebietes bei Karlshagen auf der Insel Usedom. In den Jahren 1936 bis 1945 gehörte das Gelände zur Wohnsiedlung der Peenemünder Raketenforscher. Der Bereich des Ferienlagers umfasste die ehemalige "Dünenstraße", die "Heidestraße", den "Weg am Meer" und den "Boelkering". Beim Bombenangriff der Royal Air Force auf die Heeresversuchsanstalt Peenemünde in der Nacht vom 17. zum 18. August 1943 wurden die Holzhäuser in diesen Straßen vollkommen zerstört. In den ersten Jahren nach dem Krieg erfolgte die Beseitigung der noch vorhandenen Ruinenreste.
Die Häuser im Boelkering
und ein Haus in der Dünenstraße vor dem Bombenangriff
Die Errichtung des Pionierferienlagers (PFL) auf diesem Gelände begann im Frühjahr 1962 mit ersten Planierungsarbeiten. Es wurden noch vorhandene Straßen und Wege ausgebessert und ein Zeltlager aufgestellt. Das Lager erhielt eine Wasserversorgung und provisorische Sanitäranlagen. Unter der Leitung eines Bauingenieurs, der als Reservist bei den LSK/LV diente, erfolgte der Aufbau der ersten elf Finnhütten (sie wurden als Bungalows bezeichnet). Zum Bau der Hütten wurden Mauersteine aus dem Trümmergelände geborgen, geputzt und vermauert. Alle Finnhütten erhielten ein Schilfdach. Die Hütten waren jeweils mit vier oder sechs Betten, Spinde, einem Tisch und Hocker ausgestattet. An kalten Tagen konnte die Hütte mit einem "Bahnheizkörper" elektrisch beheizt werden.
Die Dächer der Finnhüten wurden mit Schilf gedeckt
Die Einrichtungen in einer Finnhütte
Das neue Pionierferienlager erhielt den Namen des zweiten sowjetischen Kosmonauten, German Titow. Im Jahr 1962 wurden bereits zwei Durchgänge von jeweils drei Wochen mit insgesamt 900 Pionieren durchgeführt.
Der Eingang zum Pionierferienlager
in den 60iger Jahren
Postkarte
Da keine eigene Küche vorhanden war, wurde das Essen durch den Verpflegungsdienst des Fliegertechnischen Bataillons 9 (FTB-9) in der Dienststelle Karlshagen vorbereitet und dann in Thermosbehältern ins Lager transportiert. Die Essenausgabe erfolgte im Lager in mehreren 8x15m-Zelten.
Das Essen wird zur Ausgabe vorbereitet
In den folgenden Jahren errichteten die jeweils zukommandierten Baueinheiten der LSK/LV weitere Finnhütten, Sanitäranlagen, eine feste Lagerstraße und einen Appellplatz. Insgesamt wurden 130 Finnhütten errichtet. Am Ostseeufer erfolgte der Bau eines Rettungsturmes und einer Freilichtbühne. Im Jahr 1969 wurde eine eigene Küche mit Speisesaal in Betrieb genommen. Für die Arbeitsgemeinschaften errichtete das Baukommando acht kleine Gebäude. Ein Klubhaus mit großem Saal und Klubräumen wurde 1973 fertiggestellt. Durch viele Lautsprecher im gesamten Gelände übertrug der Lagerfunk Musik und Informationen.
Speisesaal und Küche
Das neue Klubgebäude
Der Seitenflügel des Gebäudes mit den Klubräumen
Ein Blick aus dem Tonstudio in den großen Saal
Da das Pionierferienlager eine Einrichtung der Nationalen Volksarmee war, erfolgte die Eröffnung des Lagers in jedem Jahr mit einem Appell durch einen höheren militärischen Vorgesetzten aus dem Kommando der LSK/LV.
Der 1. Durchgang im Jahr 1963 wurde durch den Chef der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung, Oberst Reinhold, eröffnet. Dieser 1. Durchgang bestand aus 487 Kindern. Als Gruppenleiter waren 38 Studenten von der Universität Greifswald tätig.
Die Anleitung der 14 Arbeitsgemeinschaften erfolgte durch Armeeangehörige, die aus verschiedenen Truppenteilen nach Karlshagen kommandiert wurden. Für die zukommandierten Soldaten der Bau- und Sicherstellungseinheit war die Zeit im Ferienlager aber kein Urlaub vom militärischen Dienst. Ihre Tätigkeit unterlag auch hier einem festen Tagesdienstablaufplan, mit Frühsport und Politunterricht. Die als Leiter der Arbeitsgemeinschaften eingeteilten Soldaten besaßen keine spezielle pädagogische Ausbildung.
Eröffnung des 1. Durchganges durch Oberst Reinhold
Einmarsch der Fahne zum Appell
Ab dem Jahr 1965 erfolgte die Betreuung der Kinder erstmalig durch Studenten des Pädagogischen Instituts Dresden. Das Pädagogische Institut war eine Ausbildungsstätte für Lehrer. Diese Einrichtung wurde 1953 als Pädagogisches Institut gegründet und erhielt 1967 den Status einer Hochschule. Die nun Pädagogische Hochschule Dresden trug den Namen "Karl Friedrich Wilhelm Wander". Alle Studenten absolvierten am Ende des 1. Studienjahres, in ihren Semesterferien, ein Praktikum im Pionierferienlager "German Titow". Nach einer Vorbereitungswoche wurden sie für vierzehn Tage als Gruppenleiter für jeweils 12 Kinder eingesetzt. Für diese jungen Studenten war es eine erlebnisreiche Zeit, die mit einem Flug in einem Militärtransporter AN-26 von Dresden nach Peenemünde begann.
Empfang der Ferienkinder mit Blasmusik
Bahnhof Wolgast/Hafen
In allen Jahren gab es in jedem Durchgang die verschiedensten Veranstaltungen. Dazu gehörten wie z.B. im Jahr 1964:
ein Neptunfest, eine Straße des Wissens, eine Malstraße, ein Pionierfest, Appelle zum Tag der Interbrigaden und dem Todestag von Ernst Thälmann, Treffen mit Soldaten der Sowjetarmee in Garz, Besichtigung der Kampftechnik des Truppenteils (Panzer), Treffen mit Piloten des JG-9 und Offizieren der Volksmarine in Peenemünde, Besichtigung der Traditionskabinette des JG-9 und der 1. Flottille, Besichtigung des Flugplatzes und des Hafens in Peenemünde, Forschungsaufträge und Exkursion nach Stralsund, ein Lagerfeuer mit Vietnamesen, Dampferfahrten auf dem Achterwasser und zur Insel Oie, ein Sportfest mit Fernsehaufzeichnung für die Sendereihe "Mach mit, machs nach, machs besser" mit Adi (Gerhard Adolph) und Spitzensportlern der DDR wie Hans Grodotzki (Leichtathlet), Birgit Radochla (Geräteturnerin), Sonja Morgenstern (Eiskunstläuferin), Jan Hoffmann (Eiskunstläufer) u.a.
Die beliebte Sportsendung für Kinder wurde von 1964 bis 1991 jeweils sonntags um 10 Uhr im Fernsehen der DDR gesendet.
Adi
Hans Grodotzki
Birgit Radochla
Fernsehaufzeichnungen am Strand
Neben dem Baden in der Ostsee, dem Sport und Spielen am Strand, gab es eine Vielzahl von weiteren Möglichkeiten, die Ferienzeit zu verbringen. In 10 bis 12 Arbeitsgemeinschaften konnten sich die Kinder entsprechend ihren Interessen betätigen. Es gab die Arbeitsgemeinschaften Foto, Plaste- und Holzarbeiten, Zeichnen, Basteln, Nachrichtentechnik, KFZ-Technik, Luftgewehrschießen, Touristik, Junge Sanitäter, Junge Naturforscher und Junge Reporter.
Arbeitsgemeinschaft Zeichnen
Sehr beliebt war die AG Kfz-Technik
Junge Naturforscher
Junge Sanitäter
Ein Höhepunkt in jedem Durchgang war das Neptunfest. Neptun erschien mit seinem Gefolge auf einem Boot am Strand, um dann mit viel Spaß die "Wasserscheuen" zu taufen.
Da das PFL "German Titow" ein Ferienlager der NVA war, gehörte auch die politische Erziehung der Kinder im Sinne des Sozialismus zu einem Bestandteil der Freizeitgestaltung. So fanden z.B. Gedenkveranstaltungen am Ehrenmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Karlshagen und zum Geburtstag von Ernst Thälmann statt. Im Jahr 1970 gab es ein Treffen mit dem ehemaligen sowjetischen KZ-Häftling und "Helden der Sowjetunion" Michail Dewjatajew, dem im Februar 1945 mit neun weiteren Häftlingen die Flucht aus dem KZ-Arbeitslager Karlshagen I gelang.
Gedenkveranstaltung für Ernst Thälmann
Kranzniederlegung am Ehrenmal in Karlshagen
mit Michail Dewjatajew
Einen Besuch bei den Soldaten des Jagdfliegergeschwaders 9 auf dem Flugplatz und bei den Matrosen der 1. Flottille im Hafen von Peenemünde war ebenfalls Bestandteil eines jeden Durchganges.
JG-9
Fallschirmrettungsdienst des JG-9
1. Flottille
Taucher der 1. Flottille
Der militärische Einfluß, besonders in den 60iger Jahren, zeigte sich auch darin, daß die Pioniere einen "Wachdienst" stellten. So gingen sie bis 22 Uhr am Lagerzaun auf Streife, bekleidet mit Pionierhalstuch, Käppi und Koppel und einem Holzgewehr. Ebenso wurden Nachtübungen mit Karte und Kompass durchgeführt. Ein "Manöverball" für alle Teilnehmer bildete dann den Abschluß dieser Übung.
Zwei stolze Wachsoldaten
Pioniere beim Eilmarsch durch die Dünen
Im Jahr 1970 wurde der 15. Jahrestag des Bestehens der Ferienlager der LSK/LV begangen. Von 1956 bis 1961 war es das Pionierferienlager "Thomas Müntzer" in Sohland und ab 1962 das PFL "German Titow" in Karlshagen. In diesen 15 Jahren wurden 14.131 Kinder in den Pionierferienlagern betreut. Davon im PFL German Titow" in den Jahren 1962 bis 1970 11.431 Pioniere. Bis 1965 gab es jeweils 2 Durchgänge. Die Gesamtzahl betrug dabei ca. 900 Pioniere. Ab 1966 wurden dann jeweils 3 Durchgänge mit insgesamt 1.700 bis 2.000 Pionieren durchgeführt. Im Jahr 1982 betrug die größte Anzahl 2.277 Kinder.
Der Eingang zum Ferienlager in den 1970iger Jahren
Hinter dem Eingang zum Ferienlager
stand in den ersten Jahren eine MiG-17
Später war es hier eine MiG-15 UTI mit der 2222,
der Postleitzahl von
Karlshagen
Einmal sind auch die schönsten Ferien zu Ende
Noch heute verbinden viele ehemalige Studenten und Pioniere in ihren Erinnerungen das Ferienlager "German Titow" in Karlshagen mit einer erlebnisreichen und unbeschwerten Zeit in ihrer Jugend bzw. Kindheit.
Im Jahr 1972 entwickelte sich das Pionierferienlager zu einer Mehrzweckeinrichtung. Es erhielt nun die Bezeichnung Mehrzweckobjekt 14 (MZO-14). Zum ersten Mal verbrachten Angehörige der LSK/LV in der Vor- und Nachsaison ihren Urlaub in dieser Einrichtung. Für die Familien, die ihren Urlaub im Ferienlager verbrachten, wurde durch die Stammbelegschaft ein abwechslungsreiches Programm angeboten. Neben einem Begrüßungsabend gab es Ausflüge nach Stralsund, Neubrandenburg und Greifswald, Tanzabende mit Diskothek und Grillabende am Lagerfeuer.
In der Vorsaison 1973 nutzten 66 Familien mit 240 Personen diese Möglichkeit. In der Nachsaison waren es 63 Familien mit 181 Personen.
Ebenfalls fand seit diesem Jahr eine Nutzung der Einrichtung durch Wochenendbelegung mit Familien statt. Im Jahr 1975 waren es bereits 625 Wochenendurlauber.
Die vorhandenen Einrichtungen boten auch gute Voraussetzungen für Lehrgänge und Schulungen der LSK/LV. So wurden bereits 1975 insgesamt 1.206 Armeeangehörige als Teilnehmer an diesen Schulungen gezählt.
Ein Blick in die spartanisch eingerichtete Finnhütte
Familien beim Grillabend am Lagerfeuer
Das Mehrzweckobjekt, besonders das Klubhaus mit Saal und Gaststätte, wurden außerhalb der Ferienzeit ebenfalls von den Einheiten des JG-9 und FTB-9 für Tagungen der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und der Armeesportvereinigung (ASV) sowie für Geschwader- und Staffelfeste genutzt. Auch die "Heinrich Heine-Schule" Karlshagen führte in den Einrichtungen des MZO Veranstaltungen zur Jugendweihe durch.
Kinderprogramm im Speisesaal
Sport auf dem Platz vor der Tribüne beim
"Fest der sozialistischen
Soldatenfamilie" im September 1987
Festveranstaltung des JG-9
FDJ-Aktivtagung der 3. LVD im Saal des MZO
Auch das Kommando der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung in Strausberg und der Stab der 3. Luftverteidigungsdivision in Neubrandenburg schufen sich am Rande des MZO jeweils eine Ferieneinrichtung. So entstanden dort das Gästehaus des Kommandos LSK/LV und eine Baracke der 3. LVD. In dem ehemaligen Gästehaus befindet sich heute das "Naturschutzzentrum Karlshagen". Hier wird der Besucher mit interessanten Anschauungstafeln und einer Seevogelausstellung über die Naturschutzgebiete der Insel Usedom und die heimische Tierwelt informiert.
Das ehemalige Gästehaus des Kommando LSK/LV,
heute Naturschutzzentrum
Das MZO in den 1980iger Jahren
Eingang mit Wachgebäude
Nach der Wende wurde der Versuch unternommen, das Mehrzweckobjekt mit seinen vielen Möglichkeiten als "Freizeitzentrum" in die Marktwirtschaft einzubringen. Da aber kein finanzstarker Investor gefunden wurde, konnte auch ein neuer farbenfroher Anstrich der Gebäude die Einrichtung nicht vor der Schließung retten.
Mitte der 1990er Jahre wurde das Gelände des ehemaligen Mehrzweckobjektes durch die Peenemünde Planungs- und Projekt AG vom Bundesvermögensamt erworben. Nach dem Abriß der alten Bebauung in den Jahren 1998/99 begann 2000 der Aufbau der Ferienhausanlage "Dünenresidenz". Die Übergabe des ersten Musterhauses erfolgte im Juli 2000. In neun Bauabschnitten wurden bis zum Februar 2016 161 Ferienhäuser errichtet. In zehn verschiedenen Haustypen erwarben 320 Personen eine Ferienwohnung.
Plan des MZO "German Titow" – Stand 1989
Zur vergrößerten Darstellung des Plans klicken Sie bitte auf den Plan.
Danksagung
Für die zur Verfügung gestellten Dokumente und Fotos zur Geschichte des MZO möchte ich mich bei Frau Marianne Günthel und den Herren
Autor:
Manfred Kanetzki