Am 7. Mai 1970 wurde vor dem Ortseingang von Karlshagen in einem feierlichen Zeremoniell die "Mahn- und Gedenkstätte Peenemünde-Karlshagen" eingeweiht. Dieses Mahnmal wurde zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus in den ehemaligen Peenemünder Versuchsanstalten errichtet.
Mitte der 1960er Jahre wurde am Friedhof Peenemünde ein Massengrab mit 56 Toten entdeckt. Nachdem eine Untersuchungskommission herausgefunden hatte, dass es sich hier um Häftlinge des KZ-Arbeitslagers Karlshagen I handelt, wurden die Leichen am 30. Mai 1968 zum Friedhof Karlshagen überführt und im Rahmen einer Trauerfeier beigesetzt.
Der Maler und Grafiker Klaus Rösler erhielt den Auftrag, eine Mahn- und Gedenkstätte zu gestalten. Den Mittelpunkt der Gedenkstätte bildet eine Mosaikwand. Die drei Teile des Mosaiks sollen das Leiden, die Solidarität und den Widerstandskampf gegen die V-Waffenentwicklung in Peenemünde darstellen. Auf dem rechten Teil der Mosaikwand wird die Flucht von Michail Dewjatajew und weiteren neun sowjetischen KZ- Häftlingen mit einem Bombenflugzeug He 111 vom Flugplatz Peenemünde dargestellt.
Der "Held der Sowjetunion" Michail Dewjatajew (links) und der deutsche Pilot Günter Hobohm, der ihn bei der Flucht am 8. Februar 1945 abschiessen sollte, bei einem Treffen 1999 vor dem Ehrenmal.
Auf der linken Seite der Gedenkstätte, auf der Grabstelle der Toten, befindet sich eine Tafel mit einem Text aus Bertold Brechts Gedicht "An die Kämpfer in den Konzentrationslagern".
ALSO SEID IHR VERSCHWUNDEN
ABER NICHT VERGESSEN
NIEDERGEKNÜPPELT ABER NICHT
WIDERLEGT ZUSAMMEN
MIT ALLEN UNVERBESSERBAR
WEITERKÄMPFENDEN
HIER RUHEN 56 OPFER DES FASCHISMUS
In den Jahren 1994/95 wurde die Gedenkstätte umgestaltet und auf der rechten Seite der Anlage durch eine Tafel mit der Aufschrift "Den Opfern des 2. Weltkrieges aus Karlshagen und Trassenheide" ergänzt.
Aufbahrung der Särge in Peenemünde
Beisetzung am Friedhof Karlshagen
Überführung der Särge von Peenemünde nach Karlshagen
Die Einweihungsfeier an der Gedenkstätte fand einen Tag vor dem "25. Jahrestag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus" am 7. Mai 1970 statt. Der 8. Mai war in der DDR von 1950 bis 1967 ein gesetzlicher Feiertag.
Einweihung der Gedenkstätte durch Harry Tisch, 1. Sekretär der SED‑Bezirksleitung Rostock (links) und Günter Köhler, 1. Sekretär der SED‑Kreisleitung Wolgast
Zur DDR-Zeit wurde das Ehrenmal für die politische Arbeit vielfältig genutzt. So fanden hier an bestimmten Tagen Kranzniederlegungen für die "Opfer des Faschismus und Militarismus" statt. Die NVA nutzte das Ehrenmal für die öffentliche Vereidigung der Soldaten und zur feierlichen Eröffnung militärischer Lehrgänge in Peenemünde. Durch die Schule Karlshagen wurde in der Gedenkstätte die Aufnahme von Schülern in die Pionierorganisation und in die FDJ vorgenommen. Es war auch Tradition, dass Brautpaare aus Karlshagen nach der Eheschließung ihren Brautstrauß am Ehrenmal ablegten.
Erste Vereidigung von Wehrpflichtigen am 16. Mai 1970
In den Jahren 1943 bis 1945 gab es in Peenemünde zwei KZ-Arbeitslager. Diese Lager waren Außenstellen des Konzentrationslagers Ravensbrück. Das Arbeitslager Karlshagen I bestand von Mai 1943 bis Anfang April 1945 und war der "Erprobungsstelle der Luftwaffe Peenemünde West" zugeordnet. Das Lager befand sich im nördlichen Bereich des Gemeinschaftslager Ost und wurde 1944 um einige Baracken erweitert. Ab 1944 erfolgte die Bewachung des Lagers und der Arbeitskommandos nicht durch die SS, sondern durch Soldaten des Landesschützenzuges 308/XI. Landesschützen waren Wehrmachtsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht fronttauglich waren. In dem Lager befanden sich rund 1.500 Häftlinge, deren Bestand sich durch Todesfälle, Verlegungen in andere Lager oder durch Neuzugänge ständig änderte. Die Häftlinge des KZ-Lagers Karlshagen I wurden vorrangig für Erdarbeiten auf dem Flugplatzgelände eingesetzt. Aber auch das Betanken und Tarnen der Flugzeuge gehörte zu ihren Aufgaben. Arbeitskommandos mussten in den Peenewiesen Entwässerungsgräben reinigen oder im Hafen Peenemünde Schiffe entladen. Auch im Gut Müggenhof kamen Häftlinge zum Einsatz.
Nach den Bombenangriffen der Alliierten mussten Häftlinge die Blindgänger zum Entschärfen freilegen und Bombentrichter auffüllen. Soweit aus den vorhandenen Unterlagen bekannt ist, verstarben im Lager Karlshagen I insgesamt 221 Häftlinge auf Grund schlechter Ernährung, schwerer körperlicher Arbeit und Krankheiten. Einige von ihnen wurden auch erschossen, erhängt oder erschlagen. Genaue Angaben dazu findet man in dem "Peenemünder Heft" Nr. 3 des Historisch-Technischen Museums Peenemünde.
Bis zum Herbst 1944 wurden die Verstorbenen im Krematorium Greifswald eingeäschert. Erst ab Dezember 1944 erfolgte eine Beerdigung in der Grabstelle am Friedhof in Peenemünde. Dabei wurden die Verstorbenen mit einem LKW der Fahrbereitschaft vom Werk West nach Peenemünde transportiert. Ein ehemaliger französischer Häftling hat nach dem Krieg den Ort in einer Skizze eingezeichnet.
Skizze des französischen Häftlings mit den Angaben
zum Grab am Friedhof Peenemünde
Die vorgefundenen 56 Toten wurden in den sechziger Jahren exhumiert und gerichtsmedizinisch untersucht. Anhand der Beschaffenheit der Zähne konnte ermittelt werden, dass ein Teil der Toten aus Osteuropa stammt. An 55 Skeletten konnten keine eindeutigen Hinweise auf die Todesursache gefunden werden. Ein Häftling wurde mit einem Kopfschuss in die Stirn getötet. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um einen Polen, der nach einem Fluchtversuch am 18. Februar 1945 erschossen wurde.
Fotos aus den Akten der Untersuchungskommission
Das KZ-Arbeitslager Karlshagen II bestand vom 17. Juni 1943 bis zum 13. Oktober 1943 und war der "Heeresversuchsanstalt" zugeordnet. Das Lager befand sich im Sockelgeschoss der Fertigungshalle I im Werk Süd. Die 600 Häftlinge sollten hier als billige Arbeitskräfte in der Serienproduktion der Rakete A4 eingesetzt werden. Da die Serienfertigung in Peenemünde auf Grund des britischen Bombenangriffes im August 1943 nicht beginnen konnte, wurden die Häftlinge dann für andere Arbeiten eingesetzt. Am 13. Oktober 1943 erfolgte der Transport der Häftlinge aus dem Lager Karlshagen II, über das KZ Buchenwald, in das KZ-Lager Dora bei Nordhausen, für das zu errichtende unterirdische Werk "Mittelbau".
Während der Zeit in Peenemünde kamen im KZ Karlshagen II insgesamt 28 Häftlinge ums Leben. Beim Bombenangriff am 18. August 1943 wurden achtzehn von ihnen getötet. Sechzehn wurden auf dem "Friedhof der Bombengetöteten" im Massengrab beigesetzt. Drei Häftlinge starben an Tuberkulose und zwei an Verletzungen, ein Häftling wurde bei einem Fluchtversuch erschossen und vier weitere sind gestorben, nachdem sie den mit Methanol versetzten Alkohol-Raketentreibstoff getrunken hatten. Alle Verstorbenen wurden in das Krematorium Greifswald überführt.
Stand des Beitrages: 1.2.2020
Autor: Manfred Kanetzki