Kaum jemand, der auf der herrlich angelegten Promenade an den Dünen im Ostseebad Karlshagen spazieren geht, weiss, dass sich hier an einem schönen Platz einst eine Kindererholungsstätte befand.
Hier führte der früher deutschlandweit bekannte „Heilstättenverein Lenzheim“ in der ehemaligen „Villa Marie“ ein Heim für pflegebedürftige Kinder.
Die Geschichte des Vereins ist sehr eng mit dem selbstlosen und aufopferungsvollen Wirken seines Begründers, Johannes Lenz, für die Schaffung von Stätten der Kinderheilpflege verbunden.
Pfarrer Johannes Lenz war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, der in seiner Zeit andere Menschen mit seinen Ideen be
geistern konnte und sich mit der sehr wirkungsvollen Arbeit in der Jugendfürsorge als sein Lebenswerk ein bleibendes Denkmal setzte.
Johannes Lenz wurde 1847 geboren. Sein Vater war Superintendent in Wangerin in Pommern. In seiner Kindheit war er mit seinen Eltern in den Sommerferien immer in Kolberger Deep/Pommern ca. 10 Kilometer westlich von Kolberg an der Ostsee. An dieses Paradies erinnerte er sich später gern mit Freude. Er wurde wie sein Vater Pfarrer. Als junger Vikar zog er 1870 in den Deutsch-Französischen Krieg und erwarb als beliebter Kamerad einen grossen Bekanntheitsgrad. Diese Verbindungen ermöglichten ihm später den Zugang zu den führenden Kreisen der Gesellschaft. Nach seinen Anfangsjahren in Pfarrämtern in Pommern kam Pastor Lenz 1880 als Krankenhausseelsorger an das Zentral-Diakonissenhaus Bethanien in Berlin, wo er auch die Seuchenstation zu betreuen hatte.
Grosses persönliches Leid musste er ertragen, denn durch die Übertragung einer Infektion starb sein ältester Sohn und seine Frau erlag im Jahre 1882 einer schweren Krankheit. Im Jahre 1887 wurde er Stadtmissionsinspektor für Berlin, im Nebenamt war er Pastor am Elisabeth-Kinderhospital in Berlin. Hier entstand der Wunsch nach einem Genesungsheim für kränkliche und schwächliche Kinder.
Die Wirksamkeit für die Gesundheit lernte er in einem Kindererholungsheim seines Freundes Pastor Nehmiz in Heringsdorf kennen. Durch Sammlungen und Stiftungen konnte er in seiner pommerschen Heimat im Kolberger-Deep Wald- und Dünenland erwerben. Bereits 1889 wurde mit dem Bau eines Kinderhospiz als Filiale des Elisabeth-Kinderhospitals begonnen. Die hier gesammelten guten Erfahrungen und durch die schnellen gesundheitlichen Erfolge beflügelt, sollte neben dem wirksamen Heilfaktor Seeluft auch die Gebirgsluft für die Gesundung der Kinder genutzt werden.
Nach dem Tod seines Vaters Superintendent Lenz im Jahre 1891 erbrachte die Herausgabe seiner Biografie „Ein Frühlingsleben“ die finanziellen Mittel zum Stiftungsfonds. Seinem Vater zum Ehrengedächtnis wurde dann der Name „Lenzheim“ eingeführt. Durch Freunde ermutigt und durch großes Spendenaufkommen wurden die Grundlagen der Vereinsgründung gelegt.
Mit dem Ankauf eines Bauernhauses in Schreiberhau im Riesengebirge/Schlesien und dem Ausbau zum Kinderheim konnte im Juli 1893 die erste Pflegestätte für erholungsbedürftige Kinder eröffnet werden. Im September 1893 erfolgte die Vereinsgründung im Kreishaus Teltow. Im ersten Jahr in Schreiberhau wurden in zwei Kurzeiten 51 Kinder gepflegt. Die Kinderanzahl stieg in den nächsten Jahren beständig an.
Im Jahr 1903 konnte die 10jährige Stiftungsfeier begangen werden, gleichzeitig wurden neben dem „Lenzheim“ zwei Schwesteranstalten eröffnet. Das „Katharinenheim“ und das „Marienhaus“ waren eine persönliche Stiftung im Besitz von Pfarrer Lenz. Eine bauliche Erweiterung stellte das „Luisenhaus“ dar. Alle Häuser wurden nach wirtschaftlicher Konsolidierung dem „Heilstättenverein Lenzheim“ übereignet. Mit der Überführung des Heimes Kolberger Deep im Jahre 1906 in den Verein wuchs die Zahl der Kinder stark an. Durch den Erwerb der „Villa Erika“ konnte eine zweite Pflegestätte in Kolberger Deep mit 50 Plätzen eröffnet werden. Durch Anmietung von drei Villen in Prerow („Villa Daheim“, „Haus Tannenheim“ und Gasthaus) und Anmietung des Kurhauses Neuhaus/Mecklenburg erhöhte sich die Anzahl der Kinder bis 1917 auf 2.724 Kinder. Insgesamt erfuhren in den ersten 25 Jahren des Bestehens der „Lenzheime“ rund 15.000 Kinder in 250 Kurzeiten alle Fürsorge und Pflege, die Erfolge in der Kinderheilpflege sprachen für sich.
Pastor Lenz hatte sich nach seiner Pensionierung 1911 nach Pommern zurückgezogen. Hier entfaltete er eine sehr wirksame Tätigkeit mit der Gründung von Hilfsstationen für Kindererholung in verschiedenen Orten z.B. Henkenhagen, Trassenheide und Wustrow, die jedoch die Inflationsjahre nicht überdauerten. Als zusätzliche Aufgabe konnte 1914 mit dem „Heilpflegeverein für Mittelstandskinder“ in Kölpinsee/Usedom ein Heim eröffnet werden.
Eine weitere Ausdehnung der Lenzheim-Arbeit erfolgte 1918 durch den günstigen Erwerb der „Villa Marie“ und der Eröffnung eines Kindererholungsheimes in Carlshagen/Usedom. Die erste Kurzeit fand hier vom 10. Mai bis 08. Juni 1921 statt.
Im Jahr 1922 trat Pastor Johannes Lenz mit Vollendung seines 75. Lebensjahres aus dem Vorstand zurück, wurde aber zum Vorstandsmitglied auf Lebenszeit ernannt.
Zu seinem Jubiläum wurde ihm sehr viel Anerkennung und Ehrenbezeugung in Form von Sammelspenden in Höhe von 150.000 Mark zuteil, leider verlor dieses Geld durch die Inflation sehr schnell an Wert. Durch seine unermüdlichen Anstrengungen und die seiner Mitstreiter war es möglich geworden, im Jahr 1925 in Wittdün auf der Nordseeinsel Amrum das ehemalige Hotel „Hohenzollern“ zu erwerben. Ab 21. Mai 1925 konnte es bereits als Kindererholungsheim eröffnet werden. Als Heimleiterin wurde die Johanniterschwester Elisabeth Lenz, eine Tochter des Vereinsgründers berufen. Sie leitete später noch die Heime in Partenkirchen und in Carlshagen.
Mit der Eröffnung eines Lenzheimes in Partenkirchen im Jahr 1927 erfolgte die Krönung seines „Lenzheim-Liebeswerkes“, so dass neben Ostsee, Nordsee und Riesengebirge auch die bayrischen Berge einbezogen wurden.
Das Jahr 1927 brachte als Höhepunkt den 80. Geburtstag des Lenzheim-Vaters. Alle ihm seit Jahrzehnten treuen Freunde und Gönner ehrten ihn an diesem Tag für seine grosse Lebensleistung. Auch sein ehemaliger Regimentskamerad Reichspräsident von Hindenburg zählte zu den Gratulanten.
Die höchste Ehrung wurde Johannes Lenz jedoch durch die Verleihung der theologischen Ehrendoktorwürde durch die Universität Greifswald zuteil, die ihn würdigte „als Begründer der Lenzheime, der durch langjährige treue Arbeit an der Inneren Mission und durch vielseitige kirchliche Liebesarbeit sowohl in Pommern als in anderen Provinzen erfolgreiche Dienste geleistet hat“.
Am 2. Januar 1933 verstarb er mit 85 Jahren und fand seine letzte Ruhestätte in Kolberger Deep, wenige Schritte vom Lenzheim entfernt.
Lenzheimkinder während der Kurzeit in Karlshagen
Heimgruppe am Haus
Rückseite des Heimes
Im Norden der Insel Usedom gab es bereits ab 1936, mit der Errichtung der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, Einschränkungen im Bäderbetrieb. So musste das Lenzheim in Karlshagen seine Kindererholung bereits ab 1938 einstellen. Im Zuge der Erweiterung der Wohnsiedlung wurden alle Hotels und Pensionen des Ostseebades durch die Heeresstandortverwaltung aufgekauft und als Unterkünfte für die Wissenschaftler und Techniker genutzt.
Einige Zimmer im Lenzheim wurden bis 1940 Diensträume für die Mitarbeiter der "Swinemünder Wach- und Schutz GmbH". Später befand sich dann in diesem Gebäude ein Kindergarten. Bei dem Bombenangriff der Royal Air Force auf die Heeresversuchsanstalt in der Nacht vom 17. zum 18. August 1943, mit 565 Bombenflugzeugen, wurden nicht nur die Werksanlagen bombardiert. Die Wohnsiedlung und deren Einwohner bildeten einen besonderen Schwerpunkt bei diesem Angriff. Alle Häuser an der Promenade wurden dabei vollständig zerstört. Nur das Lenzheim blieb als einziges Gebäude in Strandnähe erhalten. Unmittelbar nach Kriegsende befand sich in diesem Haus für einige Zeit die Ortskommandantur der Roten Armee. Während der Demontage der Peenemünder Werke und der Beseitigung der Ruinen der zerstörten Wohnsiedlung erfolgte dann auch der Abriss des ehemaligen Lenzheimes.
Heim Wittdün auf Amrum wurde bei Kriegsbeginn Sitz eines Marine-Inselkommandos. 1942 wurden auch die Häuser in Schreiberhau für Heereszwecke beschlagnahmt. In Partenkirchen wurde 1943 zwangsweise ein Lager der Kinderlandverschickung untergebracht. Mit Kriegsende stellte sich die Lage der Lenzheime völlig verändert dar. Die Heime in Kolberger Deep und Schreiberhau waren durch die Grenzziehung an Oder-Neisse nun endgültig verloren. Mit den Heimen in Wittdün und Partenkirchen versuchte man einen neuen Anfang. Ab September 1945 wurde das Lenzheim Partenkirchen in ein Altenheim umgewandelt. Eine Satzungsänderung erweiterte 1951 das ursprüngliche Aufgabengebiet der Kindererholung um die Altenpflege. In Wittdün lief in den Nachkriegsjahren die Kindererholung erfolgreich weiter. Durch Um- und Neubau konnte das Lenzheim hier weiterhin bestehen.
Aufgrund der in den Folgejahren in Kraft getretenen Gesetzesänderungen im Gesundheitswesen gingen die Belegungszahlen immer weiter zurück und die Erschließung weiterer Nutzungsmöglichkeiten blieb erfolglos. Dies hatte zufolge, dass das Haus 1986 verkauft werden musste. Damit endete nach über 90 Jahren die Kindererholungsarbeit des „Heilstättenvereins Lenzheim“. Durch einige Erweiterungsbauten und Neubauten konnte das Lenzheim in Partenkirchen in den Folgejahren saniert und erweitert werden und besteht als Altenpflegeheim bis heute fort.
Die Rückseite des
nach dem Bombenangriff 1943