Zu meiner Person:
Ich bin Jahrgang 1942 und wurde in der Oberlausitz geboren. Im Jahr 1959 bin ich in die Reihen der Nationalen Volksarmee, konkret in die Luftstreitkräfte, eingetreten. Nach der Mechanikerausbildung an der Offiziersschule Kamenz wurde ich, für mich zufällig, in das Jagdfliegergeschwader 9 nach Drewitz bei Cottbus versetzt. Dort habe ich als Waffenmechaniker an den Flugzeugen gearbeitet. Ich war froh, in der Nähe meiner Heimat zu sein. Im Mai 1961 wurde dieses Geschwader auf den Flugplatz Peenemünde verlegt. So kam ich nach Karlshagen. 1964 heiratete ich ein Mädchen aus Koserow und im Dezember 1964 zogen wir von Koserow nach Karlshagen, als eine der ersten Familie in die neu erbaute Straße des Friedens. So wurde ich Einwohner von Karlshagen. Ich nahm dann mehr oder weniger aktiv am Leben in Karlshagen teil und verfolgte so die Entwicklung des Ortes. Als Berufssoldat der NVA habe ich in verschiedenen Dienststellungen gearbeitet und blieb bis zum 31.12.1990 Angehöriger des Geschwaders. Ab Januar 1991 habe ich das Historisch Technische Informationszentrum in Peenemünde aktiv mit aufgebaut. In den folgenden Jahren beschäftigte ich mich dann besonders intensiv mit der Geschichte der Region Peenemünde - Karlshagen.
Die hier dargestellte Entwicklung des Ortes Karlshagen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Für Ergänzungen und Anregungen zu diesem Thema wären ich und der Heimatverein Karlshagen sehr dankbar.
Für die Hilfe bei der Erarbeitung möchte ich mich besonders bei Herrn Manfred Kanetzki bedanken.
Zu Beginn eine kurze Charakteristik des Ortes Karlshagen im Jahr 1961. Karlshagen begann sich nach dem Krieg erst in den 50er Jahren langsam zu einem Urlaubsort zu entwickeln. Der Ort lag in seiner Entwicklung immer etwas im Schatten von Zinnowitz. Im Jahr 1961 wurden aber bereits 15.629 Urlauber gezählt. Besonders ausgeprägt war schon damals die Kinderfreundlichkeit. Zahlreiche Betriebe aus der gesamten DDR hatten im Ort und auf dem Zeltplatz Kinderferienlager errichtet. Die Anzahl der Ferienkinder stieg von 450 im Jahr 1958 auf 6.125 Kinder im Jahr 1963.
Im Dorf gab es ein Landwarenhaus mit einem Geschäft für Waren des täglichen Bedarfs (Lebensmittel), einer Fleischerei und einem Bereich für Textilien und Kurzwaren in der oberen Etage.
Das Landwarenhaus in der Hauptstraße
Neben dem Landwarenhaus stand eine Baracke mit einem Geschäft für Haushaltswaren und dem Bedarf für Haus und Garten, allerdings im geringen Umfang. Im hinteren Teil der Baracke erfolgte die Essensversorgung der Schulkinder. Daneben stand eine zweite Baracke, in der sich eine Poststelle, eine Sparkasse und eine Annahmestelle für die Textilreinigung befanden. Weiterhin gab es im Ort eine Apotheke, einen Schuhmacher, ein Geschäft für Obst und Gemüse, einen Damen- und Herrenfriseur, einen Fischladen und in der Peenestraße eine Gärtnerei. Als Gaststätte war nur der "Kiefernhain" (im Volksmund auch "Ast" oder "Tante Ella" genannt) mit ca. 140 Plätzen vorhanden.
Die Gaststätte "Kiefernhain" in den 90er Jahren
Am Strand stand eine neu erbaute Lagerhalle zur Einlagerung von Strandkörben im Winter. Im Sommer wurde diese Halle für die Versorgung der Urlauber genutzt. Sie bekam dann den vielversprechenden Namen "Stranddistel". In der Nähe stand auch ein Zeltkino.
Der Strandvorplatz mit dem Ferienheim Esda Strümpfe Thalheim - im Hintergrund das Zeltkino
Auf der anderen Seite steht im Hintergrund die Stranddistel für die Urlauberversorgung
Karlshagen erreichte man über die Straßenanbindung von Bannemin über Trassenheide. Mit der Deutschen Reichsbahn war Karlshagen mit Umsteigen in Zinnowitz erreichbar. Vom Bahnhof "Wolgast Hafen" musste man vorher zu Fuß über die Peene-Brücke (ca. 1 km) zum Bahnhof "Wolgast Fähre" laufen. Von dort fuhr der Zug dann weiter nach Zinnowitz.
Am 16. Mai 1961 erfolgte die Verlegung des Jagdfliegergeschwaders 9 aus Drewitz bei Cottbus auf den Flugplatz Peenemünde. Der Flugplatz Drewitz war für damalige Verhältnisse modern ausgebaut. Die Dienststelle bestand aus festen Gebäuden und auf dem Flugplatz waren gute Arbeitsbedingungen vorhanden und er lag mitten im Kiefernwald. Die Wohnsiedlung mit Verkaufseinrichtungen und einem Klubhaus in der Nähe der Dienststelle bot für die Familien angenehme Lebensbedingungen. Auch die Stadt Cottbus war schnell mit dem Zug vom Bahnhof "Jänschalde Ost" oder mit dem Auto zu erreichen. In Karlshagen waren dagegen die Arbeits- und Lebensbedingungen bedeutend primitiver im Vergleich mit Drewitz. Der Flugplatz Peenemünde lag total frei an der Nordspitze der Insel Usedom und es gab dort zur Unterbringung der Werkstätten und für die Arbeit nur "Schartenbretterbuden", welche kaum vor dem Wind schützten.
Der Flugplatz 1961 mit dem Seenotrettungshubschrauber Mi-1
Eine der Baracken für die Unterkunft
Die 7 km entfernte Dienststelle bestand aus einem Wirtschaftsgebäude und aus 8 in U-Form gebauten Baracken sowie einer einzelnen Baracke. In diese zog der Med. Punkt ein. Dieses Barackenlager war 1939/40 für die Soldaten der Wehrmacht und für die Fremdarbeiter der Heeresversuchsanstalt aufgebaut worden. Nach 1945 zogen dort Aussiedler aus dem Osten ein. Von 1948 bis 1958 waren in diesen Baracken die Soldaten eines sowjetischen Geschwaders untergebracht, welches 1960 nach Ribnitz-Damgarten verlegt wurde.
Das Wirtschaftsgebäude in der Dienststelle Karlshagen im Jahre 1943
Die Gebäude der Dienststelle waren teilweise in einem unvorstellbar schlechten Zustand und viel Arbeiten war notwendig, um die Unterkünfte wohnlich zu gestalten.
Für die Berufssoldaten mit ihren Familien stand die alte Siedlung mit 75 Einfamilienhäusern, zum Teil in Reihe gebaut, zur Verfügung. Diese Häuser wurden 1942/43 für die Arbeiter und Ingenieure der Heeresversuchsanstalt errichtet. Von 1948 bis 1958 wohnten sowjetische Familien in der Siedlung. Diese Häuser waren 1961 in einem fast unbewohnbaren Zustand. Teilweise fehlten die Türen und Fenster. Einige Keller waren voll mit Steinkohlengruß oder sie waren die Fäkaliengrube des Hauses.
Nach dem Ausräumen eines Kellers in der Waldstraße, der mit Steinkohlengruß gefüllt war
Die Einkaufsbedingungen im Ort, die Arbeitsbedingungen auf dem Flugplatz, die Entfernung Flugplatz-Dienststelle und die Lebensbedingungen in der Dienststelle sowie in der alten Siedlung waren natürlich für viele ein großer Schock. Gerade die 7 km zwischen Flugplatz und Dienststelle waren in den ersten Monaten transportmäßig kaum zu beherrschen.
Dazu kam noch die sehr schlechte Qualität des Trinkwassers. Ohne Brechreiz ging es beim Zähneputzen in den ersten Tagen nicht. Es gab ernste Auseinandersetzung über diese Bedingungen und einige Armeeangehörige wollten durch ein Versetzungsgesuch diesen Verhältnissen entfliehen. Vertreter aus den vorgesetzten Stäben, besonders die Politoffiziere, gaben sich die Türklinken in die Hand und mussten viel Überzeugungsarbeit leisten.
Besonders hart und ungewohnt war die Arbeit auf dem Flugplatz im strengen Winter 1962/63. Der Schnee lag vom 17. Dezember bis Ende April. Es herrschten teilweise Temperaturen von bis zu Minus 25 Grad und dazu kam der eisige Wind. Die Ostsee war zu 85 % zugefroren. Auf dem Flugplatz waren für die Menschen nur wenige Schutzmöglichkeiten vorhanden. Aber schrittweise haben sich die Armeeangehörigen an diese Bedingungen gewöhnt.
Bereits seit Anfang der 50er Jahre war in Peenemünde eine Flottille der Volksmarine stationiert. Die Matrosen und die Flieger hatten aus dienstlichen Gründen kaum Kontakt zueinander. Das war aber nach Dienstschluss im Ausgang bei den kaserniert untergebrachten Armeeangehörigen etwas anderes. Es ging in der Gaststätte oder anderswo meistens ganz friedlich zu, aber wehe es kamen dann Mädels mit ins Spiel, da war es manchmal mit der "Freundschaft" aus.
Die Familien der Berufssoldaten beider Dienststellen sind in den Wohnsiedlungen meistens zur gleichen Zeit eingezogen und so bildeten sich relativ schnell Freundschaften und auch gute Wohngemeinschaften. Die Einwohner des Dorfes waren etwas abwartend und beobachteten erst einmal die Veränderungen in ihrem gewohnten Umfeld. Die Ehefrauen der Berufssoldaten mussten sich manche hässliche Bemerkung auf der Straße oder beim Einkauf anhören.
Negativ für ein verträgliches Zusammenleben auf einem großen Teil der Insel wirkte sich auch die ungewohnte Lärmbelästigung durch die Flugzeuge aus. Besonders die Seebäder mit ihrem Urlauberverkehr wurden durch die startenden oder landenden Flugzeuge gestört. Manch ein Überflug, insbesondere als von 1961 bis 1964 noch mit der MiG - 17 geflogen wurde, war nicht im Sinne der Bevölkerung. Ich habe noch Aussagen der Flugzeugführer im Ohr, wenn sie nach der Landung des Wetterfluges, früh gegen 6 Uhr, ausstiegen und sagten: "So, auf dieser Insel schläft keiner mehr." So etwas hat natürlich nicht zu einem besseren Verständnis gegenüber den Fliegern beigetragen. Die Start- und Landebahn lag in der Richtung Karlshagen - Trassenheide - Zinnowitz. In der Regel wurde montags, mittwochs und freitags, zweimal 6 Stunden geflogen und auch teilweise bis weit in die Nacht hinein. Wenn das Geschwader nicht plantreu die Flugstunden erfüllte, was meistens im Frühjahr der Fall war, flog man auch sonntags.
Die noch vorhandenen Wohnungen der alten Siedlung erhielten Berufskader mit ihren Familien, aber die reichten bei weitem nicht aus. Außer den Häusern 1 bis 8 und 14 bis 18 wurden die anderen Gebäude jeweils mit zwei Familien belegt. Einige bekamen auch eine Zuweisung für eine Wohnung in der Dienststelle Karlshagen oder in der Dienststelle Garz, am anderen Ende der Insel, etwa 50 km entfernt. Auch Eigeninitiative war gefragt, und so suchten sich einige Berufssoldaten eine Wohnung in den umliegenden Orten. Oder sie fanden eine Freundin, bei der sie einziehen konnten.
Häuser in der Waldstraße in den 70er Jahren
Es wurde schrittweise eine kulturelle Betreuung für die Armeeangehörigen mit ihren Familien in der Dienststelle ins Leben gerufen. Die Familienangehörigen bekamen Klubkarten und konnten so an den Kinoveranstaltungen teilnehmen oder die neu eröffnete Gaststätte "Kosmos" in der Dienststelle besuchen. Die Kinoveranstaltungen fanden regelmäßig viermal wöchentlich statt. Es wurden auch größere Veranstaltungen, Konzerte und Tanzveranstaltungen organisiert. Außer bei Großveranstaltungen an staatlichen Feiertagen machten die Armeeangehörigen mit ihren Familien davon allerdings wenig Gebrauch. Am 9.3.1965 brannten der Kinosaal und die Gaststätte "Kosmos" ab. Die Brandverursacher waren Kinder. Damit waren diese kulturellen Möglichkeiten zeitweilig vom Tisch.
Das Schulgebäude in der Hauptstraße - später wurde es Sitz der Gemeindeverwaltung
Ein weiteres Problem im Ort entstand durch die steigende Anzahl der Schüler. Es gab in der Hauptstraße zwei Gebäude für den Schulunterricht und in der Peenestraße noch eine Baracke, "die Wiesenschule". Weiterhin gab es auch große Probleme bei der Unterbringung der Kinder im Kindergarten. 1961 gab es einen Kindergarten in der Hauptstraße mit einer Kapazität für 18 Kinder. Die Anzahl der zu betreuenden Kinder stieg 1962 um weitere 30 Kinder.
Eine Verbesserung entstand mit der Schließung der "Wiesenschule". In diese zog dann der Kindergarten ein und 54 Kinder konnten betreut werden. Er bekam den Namen "Kinderglück". Eine große Verbesserung entstand dann mit der Inbetriebnahme der Kombination Kindergrippe - Kindergarten in der Straße des Friedens. Diese hatte eine Kapazität von 200 Kindern und kostete 1,3 Millionen Mark. Für die berufstätigen Frauen des Ortes bedeutete die neue Einrichtung eine weitere Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Kombination erhielt am 18.4.1978 den verpflichtenden Namen "Kindergrippe/Kindergarten Deutsch - Sowjetische Freundschaft". Da die Kapazität aber weiterhin nicht ausreichte, musste im März 1975 ein zweiter Kindergarten im Dorf geschaffen werden.
Das Kombi-Gebäude für Kindergrippe und Kindergarten
Die Einkaufsmöglichkeiten im Ort waren ebenfalls sehr knapp bemessen und der Handel war auf den Zuzug der Familien nicht eingestellt. Es gab in der Dienststelle eine Verkaufseinrichtung, welche noch einige Jahre von der sowjetischen Magazinkette beliefert wurde. Das Warenangebot entsprach aber nicht immer den Bedürfnissen der Familien und Soldaten. So sind einige zum Einkauf nach Peenemünde, der Ort lag ja im Sperrgebiet, oder nach Wolgast gefahren. Aber die Fahrt nach Wolgast war gerade im Sommer teilweise sehr zeitaufwendig. Der Einkauf in Peenemünde hatte einen Vorteil, denn dorthin kamen wegen dem Sperrgebiet keine Urlauber. Natürlich kam dieser "Einkaufstourismus" bei den Peenemünder Einwohnern auch nicht gut an.
Die medizinische Versorgung der Einwohner gestaltete sich sehr kompliziert. Ab 1959 hielten Ärzte aus anderen Orten Sprechstunden in der Wiesenschule in der Peenestraße ab. Auch die Sprechstunden für Kinder wurden dort durchgeführt. Es gab für die Armeeangehörigen und ihre Familien zusätzlich eine medizinische Versorgung in Med. Punkt in der Fliegerdienststelle. Am 1.1.1966 wurde die staatliche Arztpraxis in der Hauptstraße gegenüber dem Landwarenkaufhaus eröffnet. Aber da es keinen Arzt vor Ort gab, mussten weiterhin Ärzte aus anderen Orten die Sprechstunden abhalten. Am 1.5.1966 öffnete in diesem Haus eine Zahnarztpraxis mit einer Zahnärztin.
Eine ständige Besetzung mit einem eigenen Arzt konnte erst Ende 1973 verwirklicht werden, ein zweiter Arzt kam dann 1974 hinzu.
Das Ärztehaus in der Hauptstraße
Im Rahmen gestiegener Sicherheitsvorkehrungen in der DDR wurde 1962 die Nordspitze der Insel Usedom, nördlich der Peene- und Strandstraße zum militärischen Sperrgebiet erklärt und eingezäunt. Der Zaun stand am Strand bis in das Wasser hinein und musste nach jedem Winter erneuert werden. Vor der Dienststelle wurde ein Kontrollpunkt errichtet. Jeder, der den Kontrollpunkt passierte, brauchte eine Zutrittsberechtigung für das Sperrgebiet. Der Kontrollpunkt unterstand der Abteilung Inneres beim Rat des Kreises Wolgast und war mit je einem Angehörigen der Volkspolizei und der Transportpolizei besetzt. Der Volkspolizist kontrollierte den Straßenverkehr und der Transportpolizist den Zugverkehr. Jeder Zug von und nach Peenemünde musste dort zur Kontrolle anhalten. Auch wurden schrittweise Ruderboote, Luftmatratzen und Schwimmreifen vom Strand verbannt. Sie durften dann nicht mehr benutzt werden.
Die Einwohner der alten Siedlung wohnten jetzt im Sperrgebiet und konnten nur den Besuch empfangen, der eine Zutrittsgenehmigung vom Rat des Kreises besaß. Diese Berechtigung bekamen in der Regel nur Verwandte ersten Grades, also Eltern, Geschwister und Kinder. Sie war mindestens zwei Wochen vorher zu beantragen. Die Begründungen für das Sperrgebiet waren:
Der Strand im Bereich Kienheide diente der Volksmarine zeitweise als Übungsgebiet für Seeanlandungen und andere Maßnahmen. Für die Zutrittsberechtigten des Sperrgebietes, das waren die Armeeangehörigen mit ihren Familien, ergab sich dadurch ein Vorteil. So hatten sie auch in der Saison einen fast leeren Strand zur Verfügung. Das führte dann teilweise unter der Zivilbevölkerung im Ort zu heftigen Diskussionen über die "Privilegierten".
Durch einen Handstreich hatte der Bataillonskommandeur, Oberstleutnant Sieg, 1972 das Ortseingangsschild, von Peenemünde kommend, an den Beginn der Siedlung stellen lassen. Somit wurde ganz einfach die alte Siedlung aus dem Sperrgebiet herausgelöst. Diese Siedlungshäuser bekamen jetzt den Namen "Waldstraße". Das war ein "Befreiungsschlag" für die Einwohner der Waldstraße und wurde auch von den Behörden widerstandslos akzeptiert. Auch der Kontrollpunkt für das Sperrgebiet wurde in Höhe der heutigen Ostseestraße verlegt.
Zur Erhöhung der Motivierung der Armeeangehörigen in Karlshagen und Peenemünde unternahmen die verantwortlichen Parteiorgane der SED und leitende Mitarbeiter der unterschiedlichen Abteilungen im Rat des Kreises und des Bezirkes Rostock Anstrengungen, Veränderungen für den Nordteil der Insel herbeizuführen. Aber dieser Prozess war teilweise sehr zäh und brauchte seine Zeit.
Konkret und vorallem für alle sichtbar, begannen 1963 die ersten Baumaßnahmen in der Nähe des Dorfes. In der heutigen Straße des Friedens wurden schrittweise 240 Zwei- und Dreiraumwohnungen gebaut. Davon waren die ersten im Dezember 1964 fertig. In die eine Hälfte der Häuser zogen Angehörige der Volksmarine und in die andere Hälfte die Flieger ein. Jetzt konnte auch begonnen werden, die Wohnungen in der Waldstraße nur noch mit einer Familie zu belegen.
Viele Armeeangehörige mit ihren Familien hatten dadurch in Karlshgen eine neue Heimat gefunden. Arbeitsmöglichkeiten boten sich in der Kreisstadt Wolgast sowie in der örtlichen Fischerei, in der Landwirtschaft, in der Urlauberbetreuung und im Kraftwerk Peenemünde. Der einsetzende Wohnungsbau und der ständige Zuzug junger Familien brachte es mit sich, dass die vorhandenen Wohnungen bald nicht mehr ausreichten.
Heinrich Heine Schule, gebaut 1974
Mit dem Bau der Wohnungen in der Straße des Friedens wurde dort auch eine neue Schule gebaut. Sie bestand aus 13 freistehenden Unterrichtsräumen, welche durch einen geschlossenen Gang miteinander verbunden waren. So entstand in der Mitte ein ringsum geschützter Freiraum. Diese Schule war das "Projekt Steinhagen" und wurde von der DDR ursprünglich für afrikanische Länder entwickelt. Sie wurde am 10.9.1964 eingeweiht und bekam den Namen Heinrich-Heine-Schule. Das war natürlich ein Fortschritt für das Bildungswesen im Ort. Da die Anzahl der Kinder weiter anstieg, konnte 1974 ein weiterer, größerer Schulneubau mit 26 Unterrichtsräumen in Besitz genommen werden. Dazu gehörte auch eine Turnhalle mit einer Kleinsportanlage.
Die neue Schule, erbaut 1964 in der Straße des Friedens.
Im Hintergrund die neue Schule, gebaut 1974
Die Straße der Freundschaft
1974 begannen erneut Baumaßnahmen im Bereich der heutigen Straße der Freundschaft. Dort wurden bis 1978 schrittweise 400 Dreiraumwohnungen gebaut, welche ebenfalls zur Hälfte durch die Marine und durch die Flieger bezogen wurden. Nun stellten die Einwohner im Dorf erneut die Frage, warum die Armee immer wieder Neubauwohnungen bekommt und für sie nichts übrig bleibt.
Nach langem Kampf wurden zwischen der Strandstraße und der Straße des Friedens 1976 122 Wohnungen gebaut, die der Gemeinde zur Verfügung gestellt und auch durch sie vergeben wurden. So konnte dann der Frieden wieder hergestellt werden. Im Kreise der Dorfbewohner wurde auch immer wieder der doch angeblich hohe Verdienst der Armeeangehörigen diskutiert und darüber geschimpft. Aber als die Armeeangehörigen den teilweise höheren Verdienst der Fischer erfuhren, gab es Gegenargumente und auch dieser "Streit" wurde beigelegt.
Die Wohnungen für die Einwohner der Gemeinde, gebaut 1971
Im Jahre 1971 wurde endlich eine HO-Kaufhalle in der Strandstraße gebaut. Diese verbesserte die Einkaufsmöglichkeit etwas. Aber auch diese Einkaufsmöglichkeit reichte gerade in der Saison bei weitem nicht aus. Mit den ständigen Vergrößerungen der Ferienlager erhöhten sich auch die Urlauberzahlen in Karlshagen. Ab 1962 hatte das Kinderferienlager "German Titow" der Luftstreitkräfte am Strand von Karlshagen eine Kapazität von 1.000 Kindern und Betreuern pro Durchgang. Die Schulferien in der DDR ließen drei Durchgänge zu. Gerade in der Hochsaison brauchten die Bewohner viel Zeit zum Einkaufen. Oft dauerte es bis zu einer Stunde, ehe der Kunde einen Einkaufskorb hatte.
Ein Teil der Kinderferienlager "German Titow"
Auch wurde, damit die Statistik im Inselnorden stimmt, ein Wohnblock in der Straße der Freundschaft mit 40 Wohnungen dem Ort Zinnowitz statistisch zugeordnet. Diese wurden aber auch durch Angehörige der Armee bezogen. Ebenfalls wurde in diesen Zeitraum eine Gaststätte neben der Kaufhalle mit 146 Plätzen gebaut. Diese HO-Gaststätte bekam den Namen "Nordkap". So wird es noch heute, privatisiert, genannt. Das Niveau dieser Gaststätte war zu Beginn relativ hoch. Aber da sie teilweise zur Arbeiterversorgung herhalten musste, ging es mit dem Niveau dann bergab.
Die Kaufhalle und die Gaststätte "Nordkap"
Einen gewissen Beitrag bei der Freizeitgestaltung nahm auch die Entwicklung der Kleingartensparte ein. Eine nicht gerade geringe Anzahl von Familien der Armeeangehörigen sah das als sinnvolle Freizeitbeschäftigung an und vergrößerte dadurch auch das Angebot von Obst und Gemüse in der eigenen Küche. Die Anzahl der Mitglieder stieg von 68 im Jahr 1968 bis auf 183 im Jahr 1978. Seit dem 1.1.1978 trägt die Sparte den Namen "Ostseeland".
Beginnend im Jahr 1976 wurden jährlich jeweils 12 Wohnungen in der Waldstraße leer gezogen, um diese zu rekonstruieren. Neue Fenster und Türen, neue Elektroanlage, eine Schwerkraftheizung auf Kohlenbasis wurden eingebaut. Diese Baumaßnahmen werteten diese Wohnungen auf und machten sie begehrter.
1978/79 gab es wieder einen strengen Winter. Zwischen Weihnachten und Sylvester fiel das Thermometer innerhalb von 24 Stunden von plus 14 Grad auf minus 14 Grad und es setzte starker Schneefall und Sturm ein. Dieses Wetter hielt eine gute Woche an. Teilweise fiel der Strom aus. Auf den Straßen ging nichts mehr und es wurde schwere Technik und Hubschrauber der NVA zur Versorgung der Bevölkerung eingesetzt. Die Volksarmee stellte viele Notstromaggregate dem Krankenhaus Wolgast, Kindergärten, Bäckereien usw. zur Verfügung.
Die Waldstraße im Winter
Der Rat der Gemeinde Karlshagen hat sich sehr bemüht, in Zusammenarbeit mit den Volksvertretern und den anderen örtlichen Organen, sowie Betrieben, welche in Karlshagen Erholungsstätten eingerichtet hatten, die Straßenverhältnisse ständig weiter zu verbessern. Auch die Soldaten der NVA leisteten dabei wertvolle Hilfe. Gehwege an den Straßen wurden auf Kosten der Betriebe mit Schrittplatten ausgelegt, und so durften dann die Betriebe ihre Einrichtungen vergrößern. Durch solche Maßnahmen wurde die Mangelwirtschaft teilweise gemildert.
Eine Einschätzung der Gemeindevertretung 1979: "Das erstmals abgeschiedene, im letzten Krieg schwer heimgesuchte Karlshagen, ist an seinem 150. Geburtstag, 1979, im 30. Jahr des Bestehens unserer sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik, ein aufblühender Ort mit über 3.200 Einwohnern. Er ist durch ein gutes Straßennetz und zuverlässigen Verkehrsmittel mit der Umwelt verbunden. Die Zeit der Sand- und Fußwege gehört längst der Geschichte an".
Die Hauptstraße im Ort noch ohne Gehwege
Auch das kulturelle Angebot für die Einwohner und Urlauber besserte sich schrittweise. So wurde am Strandvorplatz eine Kleinbühne aufgebaut, auf der z.B. das Musikkorps der Volksmarine Peenemünde spielte. Auch traten Singgruppen auf oder es wurden Bauernmärkte durchgeführt.
Weiteren Wohnungsbau gab es in den 80er Jahren in der heutigen Dünenstraße. Dort entstanden 160 Wohnungen unterschiedlicher Größe. So standen bis 1989 für die Armeeangehörigen im Raum Karlshagen insgesamt 854 Neubauwohnungen zur Verfügung. Gegenüber diesen Wohnblöcken in der Dünenstraße wurden 1988 weitere Wohnungen vom Typ "Anklam" gebaut und endlich nicht mehr in Plattenbauweise. Aber aufgrund der Wende wurden diese Wohnungen für die Armeeangehörigen nicht mehr fertig und sie wurden 1991 privatisiert. Die drei Siedlungen sind heute der Grund dafür, dass der Ort kein einheitliches und geschlossenes Ortsbild aufweisen kann.
Die Militärangehörigen mit ihren Familien nahmen auch am gesellschaftlichen Leben in der Gemeinde teil und prägten so das Ortsbild mit. Am 1.3.1966 wurde mit einem Geschwaderappell auf der Hauptstraße vor der Gaststätte "Kiefernhain" dem Jagdfliegergeschwader 9 der Traditionsname "Heinrich Rau" feierlich verliehen. Heinrich Rau war Spanienkämpfer und bis zu seinem Tod 1961 der Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel der DDR. Auch am "Ehrenmal für die Opfer des Faschismus" wurden Kranzniederlegungen, Veranstaltungen mit Schulklassen, Vereidigungen von jungen Soldaten oder Empfänger ausländischer Gäste u.ä. mit Teilnahme der Einwohner durchgeführt.
1979 gab der Gemeinderat folgende Einschätzung über die sozialistische Entwicklung ab: "Die Umgestaltung ist sichtbar und dient den Bürgern unseres aufblühenden sozialistischen Ortes und damit dem Staat. In diesem Zusammenhang kämpft der Rat der Gemeinde mit Unterstützung aller gesellschaftlichen Organisationen und der NVA, entsprechend dem Aufruf der Nationalen Front: "Schöner unsere Städte und Gemeinden" um die staatliche Anerkennung als Gemeinde der vorbildlichen Ordnung und Sicherheit". Dieser Titel wurde 1980 dem Ort Karlshagen verliehen. So war es für die Angehörigen der NVA fast Pflicht, an staatlichen Feiertagen, wie dem 1. März, dem Tag der NVA, am 1. Mai, dem Internationalen Kampf- und Feiertag der Werktätigen oder dem 7. Oktober, dem Nationalfeiertag der DDR, in der Öffentlichkeit in Ausgangsuniform zu erscheinen. Ebenfalls war es Pflicht, aus dem Fenster der Wohnungen mindestens eine Fahne herauszuhängen. Mancher Einheitskommandeur musste am nächsten Tag bei der Kommandeurslage aufstehen, weil ein Angehöriger seiner Einheit das eine oder das andere nicht erfüllt hatte.
Der Standort Karlshagen/Peenemünde hatte in den Luftstreitkräften der DDR einen eigenartigen Ruf. Das JG-9 war eines der ersten Geschwader im Rahmen der Luftstreitkräfte der DDR. Auf Grund der Nähe zur Grenze des Warschauer Vertrages mit der NATO wurden vom Geschwader mehr Einsätze im Diensthabenden System geflogen, als bei den anderen Geschwadern der DDR zusammen.
Eine Anfang ablehnende Haltung junger Armeeangehöriger der Luftstreitkräfte zu Peenemünde entstand oftmals an den Ausbildungseinrichtungen. An der Offiziershochschule Kamenz aber auch an der Unteroffiziersschule in Bad Düben wurde der abgelegene Standort Peenemünde gegenüber den Schülern als Druckmittel benutzt. Wenn der eine oder andere nicht so richtig spurte, wie gewünscht, dann hieß es teilweise: "Genosse, wenn Sie sich nicht ändern, kommen Sie nach Peenemünde". Wenn Neuankömmlinge dann hier in der Dienststelle mit so einem Vorurteil ankamen, wirkte sich das nicht gerade positiv auf die ersten Tage ihres Dienstes aus, und es galt manches Problem zu lösen. Aber viele hierher versetzte Armeeangehörige waren nach einer gewissen Zeit gern hier, in der Nähe der Ostsee und auch in der schönen Natur. Von den Soldaten und Unteroffizieren wurden dann auch die Unterkünfte in den Baracken, wegen der relativ kleinen Zimmer und der Belegung mit teilweise 3 oder 4 Mann, gern angenommen.
Eigentlich kann eingeschätzt werden, dass sich das Verhältnis im Zusammenleben der Militärangehörigen mit den Einwohnern von Karlshagen und Umgebung langsam und schrittweise verbessert hat. Mir sind richtig ernste Auseinandersetzungen und Probleme nicht bekannt. Man hatte sich irgendwann aneinander gewöhnt. Es ist ein langwieriger Prozess, wenn ein etwas abgelegener und ruhiger Ort so fast über Nacht zum Garnisonsstandort gemacht wird. Auch kann gesagt werden, dass mit dem Erscheinen der NVA in Karlshagen der Ort eine gewisse Entwicklung genommen hat. Auch wenn bei manchen Vorhaben die Gemeindevertreter nicht gefragt wurden. Wir sehen das heute ganz deutlich am entstandenen Ortsbild.
Auch die Wendezeit war nicht gerade einfach für viele Familien. Die Ungewissheit über die weitere Zukunft machte sich breit. Die Probleme wurden nicht kleiner. Dazu kam, dass uns von den vorgesetzten Stäben so gut wie keine Informationen erreichten. Sie waren teilweise handlungsunfähig. Informationen von Außen waren kaum möglich, denn wir waren im Bereich ARD "Außer Rügen und Dresden und was dahinter liegt". Also im Tal der Ahnungslosen. So konnten sich die wildesten Gerüchte ausbreiten. Viele Informationen brachten natürlich unsere Urlauber mit. Was war Wahrheit und was nicht?
Mit der Auflösung der NVA-Dienststellen in Karlshagen 1991 und Peenemünde 1996 fiel der größte Arbeitgeber im Norden der Insel weg. Viele Berufssoldaten sind daraufhin weggezogen und der Arbeit gefolgt. So wurden viele Familien auseinander gerissen, gerade wenn ein Partner von hier aus der Gegend kam.
Einer der Wenigen, welche sich über die Auflösung der NVA freute, war der Pfarrer von Trassenheide/Karlshagen. Er hat sich manchmal in seinen Predigten derartig geäußert, dass die Armee dort hin gehen soll, wo sie hergekommen ist. Er war absolut kein Freund der Armeeangehörigen. Sein Vorgänger war es ebenfalls nicht. So hat er 1968 meine Tochter nicht getauft, nur weil ich Angehöriger der NVA war. Daraufhin bin ich dann aus der Kirche ausgetreten. Das waren aber die einzigen Auswüchse, welche bei mir in Erinnerung geblieben sind.
Durch den ständigen Zuzug besonders junger Familien seit 1961 hat sich Karlshagen fortwährend verändert und das wirkt sich bis heute aus. Diese Entwicklung war für ein Seebad auf der Insel Usedom nicht typisch. So wohnt ein nicht gerade geringer Teil der ehemaligen Berufssoldaten noch heute hier. Viele sind inzwischen Rentner. Es ist auch zu beobachten, dass einige ehemalige NVA-Angehörige nach ihrem Arbeitsleben wieder zurückkehren, oder sie holen ihre Verwandten nach, um hier in der schönen Gegend ihren Lebensabend zu genießen. Das wirkt sich natürlich auf die Altersstruktur der Einwohner von Karlshagen aus. Es werden somit hohe Anforderungen an die altersgerechte Betreuung, an die Ärzte und an das Pflegepersonal gestellt.
Auch in der Landschaft sind noch einige "Altlasten" zu finden, welche dem heutigen Ortsbild nicht gerade dienlich sind. So z.B. die "historisch gewachsenen Garagen" zwischen der Waldstraße und der Straße der Freundschaft sowie auch der Garagenkomplex in der Hugo-Elsner-Straße und in der Straße des Friedens.
Die "Garagenstraße" zwischen der Waldstraße und der Straße der Freundschaft, gebaut in Eigeninitiative 1961/62 - Bild von 2008
Vor dem Wirtschaftsgebäude von 2008
Die ehemalige Fliegerdienststelle, die seit 1992 nicht mehr bewirtschaftet wird, ist dem Verfall preisgegeben. Aber die Grundstruktur des Objektes steht unter Denkmalschutz. Das Positive ist, dass der Verfall aufgrund der Lage im Wald von außen kaum zu sehen ist. Das Gelände ist verkauft und es soll ein Gesundheits- und Wellnesspark mit ca. 1000 Betten entstehen. Die ehemalige Dienststelle gehört zwar zu den Liegenschaften von Peenemünde, belastet aber im starken Maße die Infrastruktur von Karlshagen und nicht Peenemünde.Die Wohnungen der Waldstraße sind privatisiert. Die Wohnungen der Straße des Friedens, Straße der Freundschaft und der Dünenstraße gehören einer Wohnungsgenossenschaft bzw. dem Ort Karlshagen. Aufgrund von Rekonstruktionsmaßnahmen und einer guten Wohnungspolitik gibt es kaum einen Leerstand. Die Wohnungen sind auf der Insel Usedom und darüber hinaus sehr beliebt.